Fünf Fragen an Bettina Kerwien zu ihrem neuen Kriminalroman „Agentenfieber“
Frau Kerwien, „Agentenfieber“ ist schon der vierte Krimi, der von Ihnen in der Reihe „Es geschah in Berlin“ erscheint. Mit diesem Band übernehmen Sie die Reihe als feste Autorin. Für alle, die nicht wissen, was es mit den Krimis auf sich hat – könnten Sie die Idee dahinter kurz erklären?
Die Kappe-Reihe gibt es seit 2007. Erdacht wurde sie von dem 2018 verstorbenen Sozialkrimi-Urgestein Horst Bosetzky und vom Gründer des Jaron-Verlages, Dr. Norbert Jaron. Die beiden entwarfen einen groß angelegten Kettenroman mit verschiedenen Autoren. Erster Ermittler war der Kriminalwachtmeister Hermann Kappe, der vor einem historisch authentischen Hintergrund in fiktiven Fällen in Berlin ermitteln sollte.
Die Serie beginnt im Jahr 1910, alle zwei Jahre folgt ein weiterer Fall, vom Kaiserreich über die Weimarer Republik über die NS-Zeit bis zum Mauerbau und jetzt eben bis 1982. Auf diese Weise soll auch eine Berlin-Geschichte und eine Kriminalgeschichte durch die Zeiten entstehen.
Jeder Autor sollte den zentralen Ermittler ein Stück weiterentwickeln und dann die Stafette an den Verfasser des nächsten Bandes übergeben.
Aus Altergründen wurde der Ermittler bereits zwei Mal ausgewechselt, und nun ist mit Peter Kappe der Großneffe von Hermann Kappe der Mann der Stunde. Ich durfte Peter für mein Einstiegsbuch „Au revoir, Tegel“ ausbauen und etablieren. Peter ist die Konstante im Buch, ein ganz normaler Mensch seiner Zeit. Um ihn herum schwirrt ein buntes Panoptikum von mehr oder weniger verrückten Berliner Typen und macht ihm das Leben schwer – zum Amüsemang der Lesenden, hoffe ich. :-)
Hat sich über diese vier Bände der Schreibprozess bei Ihnen verändert? Und wenn ja, wie?
Natürlich bin ich mit dem Personal jetzt viel besser vertraut. Durch die neue Freiheit als alleinige Autorin muss ich mich auch hinsichtlich der Figurenentwicklung nicht mehr mit anderen Autoren abstimmen. Außerdem komme ich mit dem Handlungszeitraum langsam in den Jahren an, an die ich mich auch wirklich erinnern kann – die ich bewusst erlebt habe. Mir ist klar, dass historische Korrektheit für diese Reihe wichtig ist. Damit das Journalistische diese Reihe nicht zu sehr dominiert, nehme ich mir jedoch auch Freiheiten heraus, über die ich dann in einem Nachwort aufkläre. Mir ist wichtig, dass es sich authentisch anfühlt: So könnte es gewesen sein, so könnte es sich angefühlt haben, 1982 zum Beispiel mit einem Zirkuszug durch die DDR zu fahren. Da muss ich ganz viel meiner Version eines kollektiven Gedächtnisses vertrauen, und das mache ich mit jedem Band mehr.
Ihr neuer Krimi spielt im Jahr 1982 – vor dem Hintergrund der realen James-Bond-Dreharbeiten am Checkpoint Charlie. Wie sind Sie auf dieses Setting gekommen?
James Bond im Visier der Stasi! – Diese Überschrift in einer bekannten Boulevard-Zeitung ließ mich sofort aufhorchen. Auf der Internetseite des Stasi-Unterlagen-Archives konnte ich es dann nachlesen.
Anders als in „Agentenfieber“ fanden am 10. August 1982 die ersten Dreharbeiten für Octopussy am Checkpoint Charlie statt – in meinem Buch sind es ja die letzten Szenen, die dort gedreht werden.
Dieser von den West-Alliierten eingerichtete Grenzübergang zwischen Zimmerstraße und Kochstraße war ein Ort zahlreicher Fluchten aus Ost-Berlin gewesen. Deshalb wurde er von der zuständigen Hauptabteilung VI des Ministeriums für Staatssicherheit ständig überwacht. Und als das Octopussy-Filmteam den Grenzübergang am 10. August morgens um 07:30 Uhr erreichte, fotografierte die Stasi alles von einem Posten hinter der Mauer und protokollierte minutengenau den Ablauf der Dreharbeiten.
Das skurrile Protokoll kann man ja in meinem Buch mit wenigen Änderungen nachlesen.
Die Dreharbeiten zu einem Film über den berühmtesten fiktiven Geheimagenten der Welt (man beachte die Widersprüche in sich :-) ) wurde von der Stasi behandelt wie ein Sicherheitsrisiko für den Staat DDR – so, als wäre Bond wirklich ein feindlicher Agent.
Ganz unabhängig vom Inhalt des Filmes war es natürlich ein Akt der Provokation. Die Grenzlinie wurde von „James Bond“ überfahren, Staatsgebiet der DDR unerlaubt verletzt. Allerdings folgte nichts daraus. Vielleicht, weil auch die ersten Filmrollen mit diesen Aufnahmen tatsächlich aus einer Kopieranstalt in West-Berlin verschwanden. Vergnügte sich die DDR-Führung damit in der Waldsiedlung? Man weiß es nicht.
Insgesamt hatten beide deutsche Geheimdienste im Kalten Krieg international wenig Bedeutung und mehr die Lizenz zum Abheften als zum Töten. Ich hoffe, das kommt im Buch gut heraus.
In „Agentenfieber“ kommen auch einige Themen vor, die in den 80er-Jahren aktuell waren, zum Beispiel die Einführung von Computer-systemen bei der Polizei. Wie haben Sie dazu recherchiert?
Die Polizeihistorische Sammlung am Platz der Luftbrücke war so nett, mir dabei zu helfen. Zu dieser Phase gibt es insgesamt wenig Material, vor allem Artikel aus EDV-Zeitschriften und Werbematerial von Siemens Nixdorf, Drehbücher für Schulungsfilme und Handbücher für die Bedienung. Ich habe niemanden gefunden, der konkret mit den ersten, sehr großen und teuren Rechnern gearbeitet hat. Es muss ein wahnsinniger Aufwand gewesen sein, alle Daten zu übertragen. Zuvor wurden die polizeilichen Informationen ja auf Karteikarten erfasst. Die EDV-Einführung hatte auch interne Widerstände zu überwinden – sie wurde nicht gerade willkommen geheißen bei den Mitarbeitenden, was ich im Buch zeige. Aber dann stellten sich die ersten Erfolge ein, zum Beispiel durch die Rasterfahndung nach den RAF-Mitgliedern, und man erkannte, wie hilfreich „Kommissar Computer“ sein konnte.
„Peter Kappe will return in Es geschah in Berlin 1984“, heißt es am Ende des Buches. Können Sie uns schon etwas über den nächsten Band verraten?
Das ist natürlich ein Augenzwinkern in Richtung 007, bei dem es ja im Abspann auch immer heißt „James Bond will return in ...“
Aber der nächste Kappe-Band wird auf jeden Fall halbseiden. Er wird im Boxermillieu spielen. Das Motto habe ich schon gefunden, es ist ein wundervolles Zitat vom Weltmeister Graciano Rocchigiani: „Wat braucht der Mensch außer Glotze gucken, een bisschen bumsen und een bisschen Anerkennung.“ Das gibt für mich ganz gut das Lebensgefühl der frühen Achtziger wieder. Man hatte sich eingerichtet.
Außerdem wird es natürlich einen Subplot zum Thema totale Überwachung, (staatliche) Kontrolle und gescheiterter Widerstand geben, denn schließlich sind wir im Jahre 1984, und da war das Buch von George Orwell ein Anlass zu Reflexion und Bilanzierung. Ich freue mich schon auf‘s Schreiben!
„Agentenfieber“ gibt es ab dem 3. Mai 2023 überall dort, wo es Bücher gibt. Sie können das Buch bei uns im Webshop oder in der Buchhandlung Ihres Vertrauens bestellen.
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